Darmstadt beschreitet neue Wege der Grünabfallverwertung

Im Auftrag der Wissenschaftsstadt Darmstadt hat der Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen eine Karbonisierungsanlage errichtet, die Ende 2022 in Betrieb gegangen ist. Als eine von gerade einmal sieben Städten weltweit erhält das hessische Oberzentrum für das Pionierprojekt, das einen Beitrag zum globalen Klimaschutz leistet, Fördermittel aus den USA

Mit Pflanzenkohle für gesunde Pflanzen sorgen
Generalplaner für die ingenieurtechnischen Leistungen in der Karbonisierungsanlage Darmstadt-Kranichstein ist Björnsen Beratende Ingenieure. Geliefert wurde die Zwei-Meter-Anlage von Carbon Technik Schuster (CTS). | Foto: FVPK

Mit der neuen Karbonisierungsanlage in Darmstadt-Kranichstein können jährlich aus 4.000 t organischem Abfall 1.000 t Pflanzenkohle erzeugt werden, die auf unterschiedliche Weise genutzt wird. Außerdem, betont Stadtkämmerer André Schellenberg, werde Darmstadt damit in der Lage sein, die Atmosphäre um jährlich etwa 2.000 t CO2-Äquivalente zu entlasten, da der Kohlenstoff dauerhaft im Boden gebunden wird.

Pflanzenkohle – Was ist das eigentlich

EAD-Mitarbeiter Klaus Maier erläuterte im Rahmen der Exkursion zur neuen Darmstädter Karbonisierungsanlage wie holziger Grünschnitt zu hochwertiger Pflanzenkohle verarbeitet wird. | Foto: EAD
EAD-Mitarbeiter Klaus Maier erläuterte im Rahmen der Exkursion zur neuen Darmstädter Karbonisierungsanlage wie holziger Grünschnitt zu hochwertiger Pflanzenkohle verarbeitet wird. | Foto: EAD

Pflanzenkohle entsteht durch die thermische Pyrolyse von Biomasse. Bei der Pyrolyse werden in einem Temperaturfenster von 400 bis 800°C unter weitestgehendem Ausschluss von Sauerstoff molekulare Verbindungen aufgespalten, wobei ein Teil in ein Gas übergeht, der stabile Kohlenstoff als Pflanzenkohle bestehen bleibt. Die poröse Struktur der Pflanzenkohle und deren große innere Oberfläche speichert Wasser und Nährstoffe und ist in der Lage, Schadstoffe zu binden. Rund die Hälfte des Kohlenstoffs des Ausgangsmaterials bleibt gemäß Studien des Fachverbandes Pflanzenkohle langfristig in der Pflanzenkohle eingeschlossen. Durch das Einbringen der Pflanzenkohle als Bodenverbesserer soll die Widerstandsfähigkeit von Stadtbäumen und Anpflanzungen gesteigert sowie der Wasserabfluss bei Starkregen verzögert werden.

Mit Pflanzenkohle Abfallkreisläufe schließen

Über den hohen Stellenwert des Projekts sagt Darmstadts Umwelt- und Klimaschutzdezernent Michael Kolmer: „Mit der erzeugten Pflanzenkohle und dem Wiedereinbringen in den öffentlichen Raum ist es uns möglich, Abfallkreisläufe zu schließen. Dieses Verfahren wirkt sich schonend auf die Umwelt aus.“ In Kooperation mit dem Umwelt-, dem Grünflächen- und dem Mobilitätsamt der Wissenschaftsstadt Darmstadt realisiert der Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) ein Konzept zur nachhaltigen Ressourcennutzung. Für sein Umweltmanagement-System wurde der EAD bereits im September 2022 erfolgreich gemäß ISO 14001 zertifiziert.

US-Stiftung unterstützt Bau der Karbonisierungsanlage zur Herstellung für Pflanzenkohle

Die bei der Produktion der Pflanzenkohle anfallende Wärme wird benutzt, um den Grünschnitt vorzutrocknen und mittels einer Gasturbine Strom zu erzeugen. | Foto: FVPK
Die bei der Produktion der Pflanzenkohle anfallende Wärme wird benutzt, um den Grünschnitt vorzutrocknen und mittels einer Gasturbine Strom zu erzeugen. | Foto: FVPK

Bei der Karbonisierungsanlage in Darmstadt handelt es sich um eine Zwei-Meiler-Anlage der Firma Carbon Technik Schuster (CTS), die im östlichen Teil des städtischen Komposthofes auf einer Grundfläche von 400 m² unter einem mit Photovoltaik bestückten Dach installiert ist. Die bei der Produktion der Kohle anfallende Wärme wird laut Angaben des EAD benutzt, um den Grünschnitt vorzutrocknen und mittels einer Gasturbine Strom zu erzeugen, mit dem sowohl die Pyrolyse-Anlage betrieben als auch ein Teil des Eigenbedarfs der Kompostanlage abgedeckt werden kann. Der nach neuen Erkenntnissen geplante Bau der Karbonisierungsanlage wurde als Beitrag zum globalen Klimaschutz von der US-Stiftung Bloomberg Philantropies unterstützt, die weltweit in 941 Städten und 173 Ländern investiert.

Internationale Zertifikate für Darmstädter Pflanzenkohle

Im August 2022 ging die Darmstädter Karbonisierungsanlage in den Probebetrieb und verwertete Gehölz aus Hecken- und Baumschnitt aus der Stadt und Umgebung. Die daraus produzierte Pflanzenkohle erhielt am 3. November 2022 das Europäische Pflanzenkohlezertifikat (EBC) und das DQS-Prüfsiegel. Diese Zertifizierungen bestätigen, dass die erzeugte Pflanzenkohle beispielsweise als Bodenverbesserer, als Kompostierzusatz, als Träger für Düngemittel oder als Futtermittel eingesetzt werden kann. Das EBC wird von der Schweizer Kontroll- und Zertifizierungsstelle bio.inspecta AG vergeben, die auch künftig die Kontrollen zur Aufrechterhaltung des Produktstandards fortführen wird. Das DQS-Zertifikat für geprüfte Vertriebswege ist notwendig, wenn die Pflanzenkohle als Rohstoff für Futtermittel genutzt werden soll. Der Zertifizierungsdienstleister DQS Holding hat gemäß eigenen Angaben den Anspruch, Zertifizierungen und Audits weltweit und auf höchstem Niveau durchzuführen. Darmstädter Pflanzenkohle wird für alle Interessierten entweder über den Shop auf der Webseite www.pflanzenkohle-darmstadt.de erhältlich sein oder als lose Ware mit Palaterra-Erde auf der Kompostierungsanlage in Darmstadt-Kranichstein.

Fachverband Pflanzenkohle als wichtiger Ansprechpartner

Die 1. Vorsitzende beim Fachverband Pflanzenkohle, Dr.-Ing. Susanne Veser, ist Prokuristin und Entwicklerin bei der SynerCity GmbH NL Leonberg. Als Leiterin des Fachbereichs Stoffstrommanagement kam sie 2010 auf das Thema Pflanzenkohle und gründete 2017 den FVPK. | Foto: FVPK
Die 1. Vorsitzende beim Fachverband Pflanzenkohle, Dr.-Ing. Susanne Veser, ist Prokuristin und Entwicklerin bei der SynerCity GmbH NL Leonberg. Als Leiterin des Fachbereichs Stoffstrommanagement kam sie 2010 auf das Thema Pflanzenkohle und gründete 2017 den FVPK. | Foto: FVPK

Der Fachverband Pflanzenkohle (FVPK) mit Sitz in Leonberg hat sich 2017 gegründet und tritt für die nachhaltige Erzeugung und Nutzung von Pflanzenkohle ein. Er versteht sich als Partner für Wissenschaft, Praxis, technische Anlagenentwickler und politische Entscheidungsträger. Für die 1. Vorsitzende, Dr. Susanne Veser, ist das Projekt in Darmstadt eine Herzensangelegenheit. Im Kurzinterview erläutert sie, warum:

Warum ist das Projekt in Darmstadt für Sie eine Herzensangelegenheit?

Veser: Weil wir hier erstmals Materialien einsetzen können, die uns die deutsche Düngemittelverordnung verbietet, nämlich Grünschnitt aus der kommunalen Grünabfallsammlung. Möglich machte dies die Novellierung des europäischen Düngemittelrechts im Juli 2022. Jetzt können wir endlich Pyrolyseanlagen in eine sinnvolle kommunale Kreislaufwirtschaft integrieren.

Wie hat der FVPK die Stadt Darmstadt bei der Planung und Umsetzung des Pilotprojekts unterstützt?

Veser: Wir haben das Projekt eher ideell und mit Öffentlichkeitsarbeit, wie zum Beispiel der Anlagenbesichtigung im Rahmen unserer Fachtagung, unterstützt. Die fachliche Planung kam natürlich von einem versierten Ingenieurbüro.

Worin liegt aus Ihrer Sicht die große Bedeutung der Pflanzenkohle für das Stadtgrün?

Veser: Der wichtigste Effekt ist natürlich die Pflanzengesundheit. Gesunde Pflanzen haben mehr Blätter und leisten dadurch eine höhere Klimawirkung durch Beschattung im Sommer. Die hohe Speicherleistung der Pflanzenkohle kann allerdings auch sehr gut in Retentionsräumen genutzt werden, um deren Wirkung zu steigern. Da sowohl dieser Effekt als auch die ordnungsgemäße Verwendung bisher allerdings weder in DWA-Arbeitsblättern noch in DIN-Empfehlungen beschrieben ist, finden solche Anwendungen bislang nur im Rahmen von Forschungsprojekten statt. Das gleiche gilt für die Reinigungsleistung der Pflanzenkohle im Zusammenhang mit Regenwasser. Genau solche Win-Win-Effekte wollen wir in Darmstadt in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und der Wissenschaft entwickeln und dokumentieren.

Warum kann die Karbonisierungsanlage in Darmstadt beispielgebend sein für andere Städte und Gemeinden?

Veser: Letztendlich stehen alle Kommunen denselben Herausforderungen gegenüber. Die Temperaturerhöhung auf diesem Planeten wurde bislang nicht gestoppt. Extremwetterereignisse haben zugenommen und werden weiter zunehmen. Darauf müssen wir uns einstellen. Die aus kommunalen Reststoffen produzierte Pflanzenkohle kann eine große Hilfe sein, das Schwammstadtprinzip effizient und kostengünstig umzusetzen. Gleichzeitig speichert die Kommune Kohlenstoff aus CO2, welches die Pflanze zuvor der Atmosphäre entnommen hatte und hilft so die eigenen Klimaziele zu erreichen.

Gibt es noch andere Eingangsstoffe für die Pyrolyse außer Gehölz- und Grünschnitt, mit denen die Anlage in Darmstadt arbeiten kann?

Veser: In Darmstadt sollen im nächsten Schritt in der zweiten Produktions-Straße Siebüberläufe aus der Kompostierung zu Pflanzenkohle mit EBC-Agro-Qualität aufbereitet werden. Diese Kohle wird einen geringeren Kohlenstoffgehalt bei einem höheren Ascheanteil aufweisen, was sich aber in Bodenanwendungen eher vorteilhaft auswirkt.

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Die Fachtagung Pflanzenkohle fand vom 7. bis 8. November 2022 in Darmstadt statt und es wurde in diesem Zusammenhang auch die Karbonisierungsanlage besichtigt. Haben Sie sich für diesen Austragungsort eingesetzt?

Veser: Ja, das habe ich.

Wie profitiert die Stadt auch künftig von der Zusammenarbeit mit dem FVPK?

Veser: Wir werden weiter über die Projekte in Darmstadt berichten und deren Vorbildcharakter herausstellen. Hier wird echte CO2-Minderungspolitik gemacht anstelle von Greenwashing und das gilt es auch einem breiten Publikum zu erzählen.

Frau Dr. Veser, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr zur Internationalen Pflanzenkohle-Fachtagung 2022 in Darmstadt auf der Webseite des FVPK hier.


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