Außergewöhnliche Kanalsanierung in Fulda

Die Sanierung eines in einem tunnelförmigen Gewässerdurchlasses verlegten Mischwassersammlers bereitete dem Abwasserverband Fulda Kopfzerbrechen: Die etablierten Verfahren in ihren klassischen Ausführungsvarianten schieden aus. Die Lösung brachte eine ungewöhnliche und bisher einmalige Variante des Schlauchlining.

Der verdämmte Schlauch: Außergewöhnliche Kanalsanierung in Fulda
Blick in den Krätzbachtunnel. In dem Sandsteingewölbe wurde nachträglich der in dem Betonblock gebettete Mischwassersammler verlegt.
In Fulda kreuzt der Kätzbach als verdoltes Gewässer die Gleisanlagen der Bahnstrecke Fulda-Frankfurt. Das begehbare Sandsteingewölbe wurde um das Jahr 1870 hergestellt und mit dem Ausbau und der Verbreiterung der Gleisanlagen entsprechend auf seine heutige Länge von etwa 390 Metern ausgebaut. Im Zuge der Kanalisierung wurde dieses Gewölbe für die Verlegung eines Mischwassersammlers genutzt, um die Bahnanlage unterqueren zu können. Zu diesem Zweck wurden Steinzugrohre DN 500 in einer Betonummantelung teils in der Sohle des Gewölbes, teils aufgeständert an der Gewölbewand verlegt, um ein gleichmäßiges Gefälle herzustellen. Dies geschah in einem ersten Abschnitt um das Jahr 1960 und in einem zweiten Abschnitt etwa zehn Jahre später.

„Im Laufe der Jahre wurde das Dichtungssystem der Steinzeugrohre schadhaft und es kam stellenweise erkennbar zu Abwasseraustritten durch den umgebenden und teilweise beschädigten Beton“, beschreibt Peter Geffe vom Abwasserverband Fulda. „Es bestand also Handlungsbedarf.“

Eingeschränkte Zugänglichkeit

Eine Erneuerung des Kanals, beispielweise durch einen Rohrvortrieb unter der Bahnlinie, schied aus wirtschaftlichen und technischen Gründen aus. Als Lösung fiel die Wahl schließlich auf die Abdichtung des bis auf die undichten Rohrverbindungen intakten Kanals mit einem Renovierungsverfahren.

Mit der Planung dieser Maßnahme wurde das auf Kanalsanierung spezialisierte Ingenieurbüro Vogel Ingenieure aus Kappelrodeck beauftragt, denn die Randbedingungen waren in diesem Fall außergewöhnlich komplex und ließen standardmäßige Sanierungsvarianten nicht zu.

Eine Zugänglichkeit des Gewölbes von der Oberfläche aus ist über eine Strecke von 390 Metern nicht möglich. Lediglich über ein Schachtbauwerk am Beginn der Sanierungsstrecke und über das Gewässer selbst etwa 30 Meter nach Ende der Kanalstrecke lässt sich der Sammler erreichen. „Dies bedingte von vorn herein, dass nur ein Linersystem infrage kommt, das über eine Länge von 400 Metern am Stück einsetzbar ist“, erklärt Markus Vogel vom Ingenieurbüro.

Das ausgewählte Stützgewebe des Herstellers Norditube kommt normalerweise bei der Sanierung von Druckrohrleitungen zum Einsatz.
Das ausgewählte Stützgewebe des Herstellers Norditube kommt normalerweise bei der Sanierung von Druckrohrleitungen zum Einsatz.

Zugkräfte und Innendruck problematisch

Weiter zu berücksichtigen waren zwei gegenläufige Krümmungen im Profil. Diese Richtungsänderungen führen bei Linersystemen, die in den Kanal eingezogen werden, bei dem immensen Linergewicht und über die große Länge zu erhöhten Zugkräften. Eine detaillierte technische Analyse ergab, dass diese Kräfte bei einem Linereinzug vom Kanal nicht ins Gewölbe abgetragen werden können und den Sammler zerstört hätten. Wickelrohr- und andere Renovierungsvarianten schieden u.a. auf Grund der punktuellen Richtungsänderungen aus. Deshalb kam nur ein warmhärtendes Linersystem infrage, das den Schlauch mit Wasserdruck in den Kanal inversiert.

Hinzu kam jedoch ein weiteres Problem: Die in dem Betonblock mit geringer Wanddicke und zumindest streckenweise niedriger Betonqualität gebetteten Steinzeugrohre waren nur in sehr geringem Maße in der Lage, Innendruck aufzunehmen. Der aufgrund der Höhenverhältnisse auftretende Wasserinnendruck von bis zu 1,2 bar hätte den Kanal bersten lassen.

Ein Schlauch im Schlauch

Aus diesen Randbedingungen entwickelte das Ingenieurbüro Vogel Ingenieure ein unkonventionelles Sanierungskonzept. Es beinhaltet einen im Durchmesser auf das hydraulisch erforderliche und auf die notwendig werdenden Provisorien abgestimmtes Maß von 473 Millimetern reduzierten Schlauchliner, der zum Abfangen des Innendruckes, in einen Stützschlauch inversiert wird. Zwischen Stützschlauch und Altrohr verbleibt planmäßig ein Ringraum, der abschließend mit einem fließfähigen Dämmer verfüllt wird.

Von der Idee zur Umsetzung war es jedoch noch ein weiter Weg, denn praktische Erfahrungen mit einem solchen Konzept lagen bisher nicht vor. Es galt zunächst, ein geeignetes Stützgewebe zu finden. Um das Dehnungsverhalten unter dem zu erwartenden Druck und bei den während des Aushärtens auftretenden Temperaturen zu ermitteln, wurde das Prüfinstitut Siebert & Knippschild vom Abwasserverband Fulda mit entsprechenden Untersuchungen und Versuchen beauftragt. Ausgewählt und in die Ausschreibung aufgenommen wurde ein Gewebeschlauch, der bei der Sanierung von Druckrohrleitungen Verwendung findet und der in den Versuchen unter Einbaubedingungen eine Dehnung von knapp zwei Prozent aufwies.

Zunächst war eine Testinstallation auf dem Gelände der Firma Aarsleff auszuführen.
Zunächst war eine Testinstallation auf dem Gelände der Firma Aarsleff auszuführen.

Test im Vorfeld

Auf dem Firmengelände der ausführenden Firma sollte zunächst die Einbausituation praxisnah simuliert werden. Erst nach erfolgreichem Testeinbau wurde im zweiten Schritt der Einbau des Liners auf der Baustelle beauftragt.

Den Zuschlag erhielt die Firma Aarsleff Rohrsanierung, die insbesondere beim Schlauchlining mit Warmwasserhärtung über große Erfahrung verfügt. „Ein Linereinbau in dieser Dimension über eine Länge von 361 Metern ist zwar nicht alltäglich, aber nichts, was wir nicht schon mehrfach realisiert haben“, sagt Matthias Reimann, Oberbauleiter bei Aarsleff. Doch auch für ihn hielt die Maßnahme in Fulda besondere Herausforderungen bereit. Neben der auf den Anfang und das Ende der Sanierungsstrecke eingeschränkten Zugänglichkeit wurde im Vorfeld besonders der Einzug des Stützschlauches mit einer Winde über die große Länge und mit den Richtungsänderungen diskutiert. „Hierbei musste ein Verdrillen des Stützgewebes vermieden werden, denn dies hätte beim Inversieren zu einem Steckenbleiben des eigentlichen Schlauchliners führen können“, so Reimann.

Stützschlauch mit PE-Kaschierung

Um dieses Risiko zu minimieren, empfahl der Hersteller, den Stützschlauch mit einer zusätzlichen Außenkaschierung aus PE zu beschichten. Hierdurch erhöhte sich das Materialgewicht des Stützgewebes deutlich. Insofern wurde der Kanal im Vorfeld an den kritischen Stellen mit Stützen zum Gewölbe abgesteift, um die Einzugskräfte ableiten zu können, ohne den Kanal zu beschädigen.

Bei der vom Auftraggeber geforderten Testinstallation auf dem Gelände von Aarsleff kam das bereits für die reale Baustelle hergestellte Stützgewebe mit PE-Kaschierung zum Einsatz. Beim Einbau stellte sich jedoch ein anderes Dehnverhalten heraus, als bei den Untersuchungen im Labor. Die Dehnung lag nun zwischen 5 und 6 Prozent mit entsprechenden Folgen für die Größe des Ringraumes zwischen Liner und Kanal. Um das aus statischer Sicht relevante vollständige Verdämmen des Ringraumes zu gewährleisten, wurde daraufhin der Altkanal mit zusätzlichen Verpressstutzen versehen.

Auf der Sanierungsstrecke waren vor dem Linereinbau vier maßgefertigte GFK-Formteile einzubauen. Zu erkennen ist auch der Verpressstutzen für das später erfolgte Verdämmen des Liners.
Auf der Sanierungsstrecke waren vor dem Linereinbau vier maßgefertigte GFK-Formteile einzubauen. Zu erkennen ist auch der Verpressstutzen für das später erfolgte Verdämmen des Liners.

Anspruchsvolle Vorarbeiten

Bevor Aarsleff in Fulda mit dem Linereinbau beginnen konnte, waren jedoch zunächst wichtige Vorarbeiten auszuführen. Um die Spannungen im Liner abzubauen, die beim Abkühlen entstehen, sollte der Liner im Abstand von 90 Metern mit Trennschnitten entspannt werden. Zu dem Zweck mussten vor dem Linereinbau vier maßgefertigte GFK-Formteile in die Rohrtrasse eingebaut werden, die künftig im Kanalbetrieb als Wartungsöffnungen dienen. Diese Arbeiten wurden im Auftrag des Abwasserverbandes Fulda von der Firma Hodes Bau, Fulda, ausgeführt. Dazu musste an vorher festgelegten Stellen alte Bausubstanz sorgfältig abgebrochen und die vorgefertigten GFK-Bauteile passgenau eingebaut werden. Das Arbeiten in dem beengten, wasserführenden Gewölbe stellte auch unter dem Aspekt der Arbeitssicherheit von der Installation einer Beleuchtung bis zur Überwachung der Wettersituation, um bei Niederschlägen das Gewölbe mit seinen langen Fluchtwegen rechtzeitig räumen zu können, besondere Anforderungen. So wurde beim Einbau der GFK-Formteile ausschließlich mit akkubetriebenen Elektrowerkzeugen gearbeitet. „Ein Knochenjob, der von der Firma Hodes mit viel Kreativität in der Arbeitsvorbereitung und in hoher handwerklicher Qualität ausgeführt wurde“, lobt Markus Vogel.

Reibungsloser Einbau

Die aufwändigen planerischen und technischen Vorarbeiten machten sich schließlich auf der Baustelle bezahlt. Der Einzug des Stützgewebes wie auch der Einbau des Schlauchliners liefen „reibungslos und einfacher als erwartet“, so Matthias Reimann. Um die Übergänge zwischen den GFK-Formteilen und dem Liner abzudichten, wurden Linerendmanschetten eingebaut. Zum abschließenden Verfüllen des Ringraumes zwischen Liner und Altrohr war der Liner mit Wasser gefüllt, um die Auftriebskräfte während des Verdämmens zu minimieren.

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Mitte August 2016 wurde in Fulda mit den Arbeiten begonnen, kurz vor Weihnachten war das Projekt abgeschlossen. Die Baukosten lagen einschließlich aller Materialprüfungen und Tests bei rund 740.000 Euro. „Wir haben das Sanierungsziel vollumfänglich erreicht“, zieht Peter Geffe aus Sicht des Auftraggebers ein rundum positives Fazit dieser außergewöhnlichen Baumaßnahme. „Auch die engagierte auftraggeberseitige Objektbetreuung durch den technischen Mitarbeiter des Verbandes, Torsten Goldbach und die Koordination der Belange des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes durch das Baumanagement Erbe, Sünna, waren wichtige Voraussetzungen zum Gelingen des Projektes“, so Peter Geffe. Und Markus Vogel ergänzt: „Was die Firmen hier geleistet haben, ist zum einen nicht alltäglich und zum anderen vom Ablauf und der Ausführung her so, wie man es sich an vielen anderen Stellen auch wünschen würde!“

Der frisch eingebaute Liner in einer der späteren Wartungsöffnungen. | Fotos: Vogel Ingenieure
Der frisch eingebaute Liner in einer der späteren Wartungsöffnungen. | Fotos: Vogel Ingenieure

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