Vorurteile entkräften, Potenziale erkennen, Vielfalt fördern

Der Anblick von wilden Blumenwiesen, Staudenbeeten und Trockenmauern auf öffentlichen Grünflächen mag unkonventionell erscheinen, doch birgt diese Naturnähe einen Mehrwert. Abseits des kurzgeschorenen Rasens fördert sie die biologische Vielfalt und unterstützt die deutsche Biodiversitätsstrategie seit 2007. Doch trotz ihrer Vorteile stoßen solche natürlichen Gestaltungen auf Skepsis. Welche Vorurteile halten einem Realitäts-Check stand?

Stiftung Mensch und Umwelt entkräftet die 10 häufigsten Vorurteile gegen Naturgärten
Der Piko-Park Nr 1: Freie Scholle in Berlin | Foto: Stiftung Mensch und Umwelt/Corinna Hoelzer
Nehmen auch Sie gelegentlich (halb-)öffentliche Grünflächen mit unkonventionellen Strukturen wahr? Anstelle von gepflegtem Rasen und Formschnitt-Hecken finden sich dort Wildblumen­wiesen, Staudenbeete mit heimischen Wildpflanzen, Trockenmauern, Lesesteinhaufen und Benjeshecken, vielleicht sogar ein Naturteich. Naturnahes Grün wie dieses fördert die biologische Vielfalt und damit die seit 2007 bestehende Biodiversitätsstrategie der deutschen Regierung. Besonders im städtischen Raum fördert die Struktur- und Artenvielfalt das Wohlbefinden der Menschen (Methorst et al., 2021). Zudem sind naturnahe Gestaltungen klimafest. Die trockenheitsverträglichen Pflanzen benötigen auch bei hohen Temperaturen kaum Gießwasser. Wildstrauchhecken und Bäume spenden insbesondere bei Hitze willkommenen Schatten und fördern ein verträgliches Mikroklima.

Naturnahes Grün ist somit ein echter Gewinn für Mensch und Tier. Trotzdem stehen viele Zeitgenossen dem zarten neuen Trend noch skeptisch bis ablehnend gegenüber. Warum nur? Was sind die Vorurteile, und halten diese einem Realitäts-Check stand?

Vorurteil 1: Ein guter Garten muss „anständig gepflegt“ sein

Ein Garten ist kein Naturschutzgebiet. Allerdings verbinden wir mit „anständiger Pflege“ meist kurzgeschorenen Rasen und geometrisch gestutzte Hecken. Das befriedigt unseren Ordnungssinn. Im historischen Park oder auf Spiel- und Liegewiesen hat so ein Rasen durchaus seine Berechtigung. Platz für Natur bleibt auf diesen Flächen aber kaum. Wird ein Rasen nicht (mehr) zum Spielen genutzt, kann je nach Rasenmischung schon das Ändern des Mahdregimes im besten Fall eine Blumen­wiese hervorbringen. Durch die angepasste Mahd kommen die Wiesenblumen und -kräuter zur Blüte und können sich ausbreiten. Hier können deutlich mehr Insekten überleben und sich fortpflanzen. Außerdem spart es auch Bewässerung, denn ein grüner Rasen braucht viel Wasser. Eine Wiese hingegen muss nie gewässert werden. Viele typische Wiesenblumen wurzeln deutlich tiefer als Gräser und sind noch saftig grün, wenn der Rasen bereits vertrocknet ist.

Vorurteil 2: Braune Stängel müssen ab, Laub muss weg!

Nein. Abgestorbene Pflanzenstängel erfüllen eine wichtige Funktion in der Natur. Viele Insekten überwintern darin oder daran, sei es als Ei, Larve, Puppe oder Vollinsekt. Zudem bieten die Fruchtstände noch lange Futter für Distelfinken oder andere körnerfressende Vögel. Auch Laub dient zahlreichen Kleintieren wie zum Beispiel Igeln als Winterquartier. Unter Gehölzen und auf fetten Böden kann es liegenbleiben. Mit der Zeit wird es von Insekten, Pilzen, Regenwürmern und Mikroorganismen zu Humus umgesetzt. Der ist zwar wertvoll, aber nicht auf jedem Standort erwünscht: Von Magerflächen, aus Teichen und von Wegen sollte das Laub deshalb entfernt werden. Aus Naturschutzsicht sind Laubbläser mit Elektroantrieb für diese Einsätze akzeptabel. Auf Laub­sauger sollte aber verzichtet werden. Diese haben meist eine integrierte Häckselfunktion. Kaum ein Tier überlebt diesen Einsatz.

Vorurteil 3: Oh, eine Löwenzahnwiese. Das ist Natur pur!

Naturnahes Grün fördert die biologische Vielfalt. | Foto: Stiftung Mensch und Umwelt/Peter Müller
Naturnahes Grün fördert die biologische Vielfalt. | Foto: Stiftung Mensch und Umwelt/Peter Müller

Nein. So schön solche gelben Wiesen wirken und so wertvoll der Löwenzahn als Nektar- und Pollenspender auch ist: Ein solcher Anblick zeigt, dass der Boden stark mit Stickstoff angereichert ist. In solchen Böden setzen sich Pflanzenarten durch, die gerne Nährstoffe in ihre reiche Blattmasse einbauen, wie beispielsweise Löwenzahn. Diese konkurrenzstarken Pflanzen verhindern eine Pflanzenvielfalt - meist dominieren ein bis drei konkurrenzstarke Pflanzen die gesamte Fläche.

Vorurteil 4: Unsere Pflanzen brauchen „guten Mutterboden“

Es kommt drauf an. Obst und Gemüse und so manche Wildpflanze lieben nährstoffreiche Erde. Im Gegensatz zum nährstoffreichen Mutterboden ist auf magerem Boden allerdings eine größere Vielfalt zu erwarten. Warum? Auf Magerstandorten tun sich die zierlicheren und oft eher in die Höhe wachsenden Pflanzen (s. auch Alpenflora) gegenseitig nicht „weh“, alle bekommen genügend Licht.

Vorurteil 5: Bei der Hitze heutzutage müssen die Pflanzen oft gewässert werden

Das trifft besonders für Zuchtformen zu, die im Gewächshaus mit viel Wasser und Dünger gepäppelt wurden. Grundsätzlich ist entscheidend, ob die Pflanzen an den Standort angepasst sind. Heimische Pflanzen, die in der Natur auf trockenen Magerstandorten wie etwa im Trockenrasen vorkommen, sind evolutiv resistent gegenüber Trockenheit. Diese können auch im Garten ästhetisch in Szene gesetzt werden. In der Regel benötigen sie nur während der Anwachsphase Gießwasser.

Beispiele für heimische Trockenkünstler

- Skabiosen-Flockenblume (Centaurea scabiosa)

- Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria)

- Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum)

- Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana) und Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias)

- Astlose Graslilie (Anthericum liliago) und Ästige Graslilie (Anthericum ramosum)

- Schlehe (Prunus spinosa)

- Gewöhnliche Felsenbirne (Amelanchier ovalis)

- Stein-Weichsel (Prunus mahaleb)

Vorurteil 6: Dick Rindenmulch auftragen ist super gegen Unkraut

Rindenmulch kann das Pflanzenwachstum und damit auch das Unkraut hemmen. Er greift aber sensibel in den Stickstoffhaushalt des Bodens ein. Er wirkt versauernd auf den pH-Wert, und das Mikroklima des Bodens wird verändert – eine Gefahr für die unzähligen Organismen im Boden. Wir empfehlen Rindenmulch maximal als Wegebelag. Wenn Sie Unkrautaufwuchs verhindern möchten, nutzen Sie lieber Holzhäcksel oder mineralische Substrate wie eine Kies-Sand-Mischung. Besser noch: Sähen Sie einjährige Pflanzen als Lückenfüller, die blühen schnell und vermehren sich nur, solange offener Boden vorhanden ist und dieser durch andere Stauden nicht zugewachsen ist.

Vorurteil 7: „Die Bienen“ sind gefährdet

Die Honigbiene Apis Mellifera | Foto: Hans Jürgen Sessner
Die Honigbiene Apis Mellifera | Foto: Hans Jürgen Sessner

Wildbienen leben anders als Honigbienen. Alle Bienen profitieren von naturnahen Anlagen, besonders aber die heimischen 604 Bienenarten, von denen jede Zweite gefährdet ist. Die Honigbiene wird vom Menschen seit langem als Nutztier gezüchtet, leidet auch unter Pestiziden und Nahrungsknappheit, braucht für ihr Volk große Blühstrukturen wie Obstplantagen oder Bäume. Wildbienen nisten einzeln im Boden oder in oberirdischen Hohlräumen, haben keinen Honig zu verteidigen und stechen nicht. Ein Drittel von ihnen ist auf ganz bestimmte Pflanzen zur Pollenernte spezialisiert. Es ist deshalb wichtig, wieder Vielfalt in die Gärten zu bekommen, um Wildbienen und andere Insekten zu fördern.

Vorurteil 8: Gehölze brauchen einen geometrischen Schnitt, wie sieht das denn sonst aus?

„Hausmeisterschnitt“ – so wird das unsachgemäße Beschneiden von Gehölzen oft genannt. Wer natürliche Wuchsformen von heimischen Sträuchern zulässt, wird eine bislang eher verborgene Schönheit an Liguster und Co. entdecken. Und erst dann können Bestäuber und Vögel profitieren, welche die Blüten besuchen beziehungsweise die Beeren fressen. Der Zeitgeist öffnet sich für neue Sehgewohnheiten mit Sträuchern im natürlichen Habitus. Alle fünf Jahre ungefähr muss solch ein Strauch fachgerecht geschnitten werden. Interessanter für Azubis als nur „oben abzusägen“.

Vorurteil 9: Die Menschen wünschen großblütige Pflanzen

Das üppige Angebot der Pflanzenzüchter hat unsere Sehgewohnheiten beeinflusst. Wir sind verwöhnt von großen, knallbunten Blüten mit langer Blühdauer. Leider sind viele Insekten nicht auf diese Pflanzen „geeicht“, sie werden übersehen oder es findet sich dort trotz Duft kein Nektar und Pollen mehr. Ökologisch gesehen sind viele Zuchtformen nicht viel wert. Es gibt auch heimische Arten mit großen Blüten: Wildrosen (Rosa), Malven (Malva) oder Wald-Geißblatt (Lonicera periclymenum). Blütenstände aus vielen kleinen Einzelblüten mit Woweffekt: Gewöhnlicher Blutweiderich (Lythrum salicaria), Ähriger Ehrenpreis (Veronica spicata), Königskerzen (Verbascum), Steinbrech-Felsnelke (Petrorhagia saxifraga) und Gewöhnlicher Wasserdost (Eupatorium cannabinum).

Vorurteil 10: Naturnahes Grün kostet viel mehr Geld

Wiesenschnitt mit Balkenmäher zweimal im Jahr ist in etwa so teuer wie zehn Mal Mähen inklusive Mulchen. | Foto: Stiftung Mensch und Umwelt/Peter Müller
Wiesenschnitt mit Balkenmäher zweimal im Jahr ist in etwa so teuer wie zehn Mal Mähen inklusive Mulchen. | Foto: Stiftung Mensch und Umwelt/Peter Müller

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Die Gestaltung ist teurer als nur Raseneinsaat, klar. Bei der Pflege kann durch geschickte Anlage der Flächen der Aufwand verringert werden. Wiesenschnitt mit Balkenmäher zweimal im Jahr ist in etwa so teuer wie 10 Mal Mähen inklusive Mulchen. Der Wert der Natur sollte hier im Vordergrund stehen und weniger die finanziellen Mittel, die aufgebracht werden. Klimaresilienz, Gesundheit, soziales Miteinander sind Werte, die durch einen Naturgarten entstehen können.

Kleine naturnahe Parks

„Piko-Parks“ bringen attraktive Artenvielfalt auf langweiliges Abstandsgrün von halböffentlichen Flächen. Die Idee und das Konzept zu diesem neuen, circa 300 Quadratmeter großen urbanen Grünflächentyp gehen auf den Wissenschaftsladen Bonn (WILA) zurück. Er legte bisher fünf Piko-Parks an (in Bonn, Dortmund, Erfurt, Remscheid, Speyer). Die Stiftung für Mensch und Umwelt etablierte fünf weitere dieser Blühoasen, alle in Berlin. Der erste Berliner Piko-Park befindet sich im Schollenhof, auf dem Gelände der Baugenossenschaft „Freie Scholle“ zu Berlin. Dort gibt es 80 Meter Trockenmauer aus Sandstein zu sehen. Hinzu kommen Sand- und Kalkmagerbeete, ein Käferkeller, Totholz, eine große Wildbienennisthilfe und farbige Infoschilder. Um die angrenzende Mieterschaft für die Neugestaltung der Fläche zu gewinnen, fand unter anderem im Herbst 2020 eine gemeinsame Pflanzaktion statt. „Ich freue mich daran, wie toll das geworden ist, und dass auch ältere Menschen hier eine Möglichkeit haben, zu sitzen und sich zu unterhalten“, freut sich Anwohnerin Sabine. Im vergangenen Jahr wurde der Piko-Park Schollenhof gleich zweifach ausgezeichnet: zum einen mit dem „European Award for Ecological Gardening 2023“ und zum anderen mit „Gold“ von der bundesweiten Kampagne „Tausende Gärten – Tausende Arten“.

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Naturnahes Grün hat also großes Potenzial. Egal, ob mitten in Wohngebieten, auf kommunalen Flächen, auf Friedhöfen. Es lohnt sich überall!

Weiterführende Infos

Online-Kurs „Naturnahes Grün“: Bietet einen Überblick über die naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen, insbesondere in Wohnquartieren; enthalten sind u. a. Lehrvideos (6 Unterrichtseinheiten), Quizeinheiten und Pflanzlisten. Der Kurs ist als Fortbildung von der Architektenkammer Berlin anerkannt.„Endlich mal ein Kurs, welcher nicht nur endlose Listen von Pflanzen und entsprechend noch endlosere Werbung beinhaltet. Hier gibt es Infos, die man wirklich braucht.“ Denise Nauschütz

Bestellung hier: https://www.shop.deutschland-summt.de/

Unsere Autorin

Dr. Corinna Hölzer, Stiftungsleitung der Stiftung für Mensch und Umwelt.

Stiftung Mensch und Umwelt entkräftet die 10 häufigsten Vorurteile gegen Naturgärten: Weitere Bilder

Einweihung Piko-Park | Foto: B_I MEDIEN
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